Eine musikalische Brieffreundschaft
- Senioren
Ein klitzekleines Musikinstrument, das zwei Herzen verbindet
Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Wunder. Diese Geschichte erzählt, wie ein kleiner Moment der gemeinsamen Freude noch lange über die Weihnachtstage hinaus wirken kann. Und wie ein unscheinbares Musikinstrument während der Coronapandemie zwei Herzen zusammenführte.
18.Dezember 2019 – "Oh Tannenbaum"
Es ist ein kalter Tag kurz vor Weihnachten, als die ROTE NASEN Clowns Béta Caténine und Maria Genial eine Berliner Pflegeeinrichtung besuchen.
Mit glitzernden Christbaumkugel-Ohrringen, einer Lichterkette um die Hüfte und Zipfelmützen als Kopfschmuck betreten die in Rot gekleideten Clowns das Haus. Weihnachtslieder summend, treffen sie gleich am Eingang auf Frau Reis*. Die ältere Dame leidet seit vielen Jahren an der körperlich einschränkenden Parkinson-Krankheit und lebt aus diesem Grund in der Pflegeeinrichtung. Sie fühlt sich vor allem an den dunkeln Wintertagen oft allein und freut sich über die schöne Ablenkung. Clown Béta schmiegt sich - französisch-leidenschaftlich, wie sie ist - an die ältere Dame und stimmt auf ihrem Akkordeon "Oh Tannenbaum" an. Ohne zu zögern und mit einem breiten Lächeln holt Frau Reis eine silberne Mundharmonika aus ihrer Jackentasche und fängt an, die Melodie mitzuspielen. Ihre sonst so zittrige Hand wird plötzlich ganz ruhig.
Nach dem ersten gemeinsamen Lied holt Clown Béta aus ihrem Köfferchen eine Mini-Mundharmonika heraus und versucht mit viel Mühe, Töne zu erzeugen. Frau Reis lacht, als Béta das kleine Instrument dabei zweimal aus der Hand flutscht. Beim dritten Mal gelingt es, allerdings stellt Béta fest, dass sie nur ein Lied spielen kann - nur ist das leider kein Weihnachtslied, sondern das Kinderlied „Bruder Jakob“. Die erste Strophe spielt sie allein, und bei der zweiten stimmt Frau Reis mit einem zufriedenen Lächeln ein. Der Klang der beiden Mundharmonikas harmoniert ganz wunderbar!
15.April 2020 – Die Mini-Mundharmonika
Bereits seit vielen Wochen hält das Coronavirus die Welt in Atem. Für viele Menschen ist es eine schwere Zeit, in der Einsamkeit, Angst um die Liebsten und Unsicherheit dominieren. Während des Lockdowns im Frühjahr dürfen die ROTE NASEN Clowns die Innenräume vieler Pflegeeinrichtungen nicht mehr betreten. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind isoliert von der Außenwelt, ohne persönlichen Kontakt zu ihren Familien. Es ist fast Ostern, und auch Clown Béta und Frau Reis dürfen sich wegen des Corona-Lockdowns nicht sehen. Seit der ersten Begegnung haben sie sich ins Herz geschlossen. Clown Béta hat eine Idee: Sie will Frau Reis ein Geschenk zu Ostern machen. Sie nimmt ihren Lieblingsfüller aus der Federmappe und schreibt mit roter Tinte:
„Bonjour! Ich bin Béta Caténine, die französische Clownin von den Roten Nasen! Wir haben uns zum ersten Mal letzten Dezember getroffen. Ich erinnere mich sehr gut an Dich, da du so gut Mundharmonika gespielt hast. Ich war mit meiner Freundin Maria Genial und ich habe versucht mit meiner Mini-Harmonika zu spielen, aber ich bin nicht eine Expertin, wie du! Als Osterngeschenk und weil ich Dich nicht heute besuchen darf, schicke ich dir meine Mini-Mundharmonika. Viel Spaß damit und ich hoffe wir sehen uns bald wieder. Bleib gesund und große Umarmung von Béta Caténine!“
Die Mini-Mundharmonika klebt sie liebevoll mit einem weiß-roten Pflaster aus ihrem Erste-Hilfe-Set in die Grußkarte hinein. Und ab geht die Post!
6. Mai 2020 – "Freude, schöner Götterfunken"
Im Mai sinken die Corona-Infektionszahlen allmählich, und der Lockdown wird langsam gelockert. ROTE NASEN Clowns finden neue Wege, die Herzen der älteren pflegebedürftigen Menschen mit Freude und Hoffnung zu erreichen – der Hof wird zur Bühne.
Es ist ein sonniger Frühlingstag, als Béta Caténine und ihre Clownkollegin Flotte Lotte die Bewohner der Pflegeeinrichtung endlich wieder besuchen. Für Béta ist es ein besonderer Tag, denn sie wird Frau Reis wiedersehen. Die ältere Dame sitzt in ihrem Rollstuhl auf dem Balkon und schaut den beiden bunten Gestalten erwartungsvoll zu. Clown Flotte Lotte stimmt auf ihrer Klarinette die ersten Takte von "Freude, schöner Götterfunken" an. Béta summt mit. Mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit greift Frau Reis in ihre Jackentasche – und zieht die Mundharmonika hervor! Schon beginnt sie, mitzuspielen. Kurze Zeit später singen alle Bewohnerinnen und Bewohner schunkelnd mit.
Beim Abschied ruft Frau Reis den Clowns noch hinterher: "Warten Sie, ich habe hier noch was für Béta Caténina!" Zum Flugzeug gefaltet, lässt die ältere Dame ein Blatt Papier hinabgleiten. Es ist ein Brief. In kleiner zittriger Handschrift steht darin:
"Liebe Beta Catenina! Vielen Dank für die netten Zeilen. Meine Schrift ist so schlecht, dass ich kaum schreiben kann. Ich habe eine schreckliche Krankheit: Parkinson. Seit langem. Es ist viel schlimmer geworden mit mir. Nun sitze ich schon im Rollstuhl. Kann mich kaum bewegen. Meine Schrift ist so schlimm. Ich habe eine Schreibmaschine, nur ist das Farbband zu Ende. Ich hoffe, dass Sie alles lesen können. Wenn meine Maschine wieder gut ist, schreibe ich Ihnen. Bis dahin viele Grüße!"
Clown Béta ist so glücklich, dass sie am liebsten auf den Balkon springen würde, um Frau Reis in die Arme zu nehmen. Die Freundschaft, die sich hinter diesen Zeilen birgt, ist das schönste Geschenk, das sich Béta erträumen konnte. Sie weiß schon jetzt, was sie Frau Reis dieses Jahr zu Weihnachten schenken wird: Sie übt fleißig "Freude, schöner Götterfunken" auf ihrem Akkordeon, um das Geschenk für Frau Reis auch verwirklichen zu können.
*Name zum Schutz geändert