Die Clownfigur
Wer ist der Clown?
Der Clown lebt im Augenblick, er spielt mit dem Hier und Jetzt. Mit Leichtigkeit, Offenheit und Mut begegnet er dem, was gerade vor ihm liegt, steht und vor allem passiert. Sein offenes Herz und ein hohes Maß an Empathie lassen den Clown aufmerksam, liebevoll und respektvoll auf die entsprechende Situation reagieren. Als Kind der Freiheit sagt er immer „JA“ zum Leben, zur Freude, aber auch zum Kummer.
Der Clown ist menschlich in allen Facetten des alltäglichen Lebens, auch im Scheitern. Für ihn ist Scheitern keine Katastrophe, er scheitert oft, doch dann steht er auf und geht weiter. Er blickt nicht zurück, stellt seine Fehler nicht in Frage, schaut nur nach vorne. Er gibt Hoffnung, weil er strauchelt und fällt, wieder aufsteht und weiter geht, den Blick nach vorne, auf die Stärken und das Positive gerichtet. Der Clown hat viele Fragen und keine Antworten in einer Welt, die immer weniger Klarheit bietet. Das lässt ihn aber nicht verzweifeln und schwach werden. Im Gegenteil – er forscht weiter mit offenem Herzen und stärkt sich durch die Beziehung zu dem, was ihn umgibt und begleitet.
Der Clown nimmt Menschen und Dinge, wie sie sind, ohne sie zu bewerten. Er bezieht seine Kraft aus einem Archetyp, der jenseits von Gut und Böse steht und genau das ist menschlich. Das verleiht ihm Naivität und Offenheit, erlaubt ihm Grenzen zu überschreiten und Tabus anzusprechen. Indem er seine Umwelt annimmt statt sie zu verurteilen, stellt er ständig Konventionen und Hierarchien in Frage und stellt sie liebevoll auf den Kopf. Sein Handeln ist stets unkalkulierbar, er hat keinen Auftrag und Absichten. Er ist einfach nur da, um für Andere da zu sein.
Unser künstlerische Leiter Reinhard Horstkotte spricht über die Arbeit von ROTE NASEN Clowns:
„Alles ist wichtig, Nichts ist ernst“
„Im Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung kommt alles zusammen: Menschen aus den verschiedensten Schichten, Kulturen, Religionen, mit den verschiedensten Lebensweisen, Meinungen, Ansichten. Sie alle treffen sich hier und eines wird ihnen an diesem Ort bewusst: Sie (so wie wir alle) sind auf die Hilfe anderer angewiesen. In diese Situation kommen die Clowns hinein: Mit ihren Kunststücken, ihren Liedern, ihren Geschichten, ihrer ganz individuellen Virtuosität bringen sie die Leute zum Lachen, Schmunzeln und Staunen.
Die Clowns schenken den Menschen Momente, in denen diese erfahren, dass es noch etwas anderes gibt, als das was sie gerade erleben. Das Wichtigste aber ist, dass die Clowns die Patienten, die Bewohner und Mitarbeiter erinnern. Sie erinnern sie daran, dass es möglich ist mit der Schönheit und Freude des Lebens verbunden zu sein; unabhängig von Ruhm, Reichtum oder Alter, ja sogar unabhängig von der Gesundheit. Dies können die Clowns aber nur deshalb tun, weil sie den Ort in sich kennen, wo sie mit dem puren Leben verbunden sind. Die Schranken und Schutzmechanismen, die sie vom lebendig sein trennen, zu überwinden verlangt von den Clowns eine ganz besondere Art von Geschicklichkeit. Bestimmte „Muskeln“ müssen durch innere Arbeit trainiert sein. Kinder und alte Menschen spüren nämlich gleich, wenn wir authentisch sind. Und wie Augustinus sagte: In Dir selbst muss brennen was Du in anderen entzünden willst.“
Drei wichtigste Dimensionen der Clownfigur
Eine starke Clownfigur besitzt die Fähigkeit, andere zu unterhalten, Gefühle aus dem Nichts zu erwecken, eine Stimmung aufzugreifen und sie mit Hilfe seiner artistischen, musikalischen oder schauspielerischen Fertigkeiten zu verwandeln.
Der Clown ist ein reifer Mensch mit der Fähigkeit, Mitgefühl und Empathie zu entwickeln. Er kann sich ganz in das Gegenüber hineinversetzen und ihr oder ihm somit die Erfahrung einer lebendigen Beziehung ermöglichen.
Der Clown hat die innere Haltung eines Kindes, ausgestattet mit viel Fantasie, immer den Moment neu zu entdecken, Räume zu verwandeln und damit den Blick auf das Mögliche im Unmöglichen zu richten.
Geschichtliche Entwicklung der Clownfigur
Als „Trickster“ bekannt, existiert die Figur des Clowns schon lange in der Menschheitsgeschichte. Der Psychologe C. G. Jung hat nachgewiesen, dass es den Trickster, ein „kosmisches Urwesen“, zu allen Zeiten und in allen Kulturen weltweit gegeben hat. In der Mythologie bzw. Literatur wird der Trickster als die Figur benannt, die sich zwischen der Tier- und Pflanzenwelt und der Menschenwelt bewegt (C.G. Jung, 1934). Der amerikanische Anthropologe Paul Radin beschrieb die Figur wie folgt: „Der Trickster ist gleichzeitig Schöpfer und Zerstörer, Geber und Verneiner, derjenige, der andere überlistet und selbst immer überlistet wird. ... Er besitzt keine Werte, weder moralische noch gesellschaftliche, und ist seinen Leidenschaften und Trieben ausgeliefert, doch kommen durch seine Handlungen alle Werte zum Vorschein.“ (Radin, 1972).
In den Geschichten der indigenen Völker Nordamerikas taucht der Trickster beispielsweise als Schamane (Medizinmann oder Heiler) auf, bei den alten Griechen als der Götterbote Hermes und in den zentralasiatischen Märchen als Schwindler Nasreddin. Schon immer hatte diese Figur eine besondere gesellschaftliche Bestimmung (C.G. Jung, 1934). Die sog. Tehua, eine Gemeinschaft wohnhaft am Rio Grande in Mittelamerika, wurden auf langen Umzugsreisen stets von einem rot weiß geschminkten Mann begleitet. Sobald sie auf dem Weg auf Hindernisse antrafen und nicht vorankamen, sprang dieser Mann urplötzlich auf, tanzte, sang und machte Späße bis die wandernde Gruppe in schallendes Gelächter ausbrach und neuen Mut schöpfte (Von Barloewen, 1984). Im mittelalterlichen Europa durfte der Narr als Einziger mit Spielen und Gaukeleien die höfischen Konventionen infrage stellen. Da er immer die Wahrheit sagt, war er häufig der engste Berater des Königs (Shah, 1984).
Die "Maske" des Clowns
Der Clown, wie wir ihn heute kennen, geschminkt und mit großen Schuhen, entstand Ende des 18. Jahrhunderts in England. Der Mime Grimaldi entwickelte die neue „Maske“ des Clowns: ein weiß geschminktes Gesicht mit roten Wangen. Im Gegensatz zum Trickster, der auch schadenfroh sein kann, bringt der Clown sich selbst in komische Situationen, um so Menschen zum Lachen zu bringen. Aus dem Film kannte man Clowns eher ungeschminkt, wie Charlie Chaplin oder Laurel und Hardy (dt. "Dick und Doof"), die den Clown zum echten Star machten. Der Zirkusclown erreichte seinen Höhepunkt in den 50er bis 70er Jahren des 20.Jahrhunderts mit u.A. Grock, Rivel und Popov (Vortrag Reinhard Horstkotte, 2008).
Der Clown als Zwischenwesen
Clown, Schamane, Narr und Trickster sind zwar verschiedene Figuren, haben aber viele Gemeinsamkeiten: Als sogenannte liminale Wesen bewegen sie sich immer im „Dazwischen“; sie sind weder gut noch böse. Sie gelten als Vermittler zwischen Ordnung und Chaos, dem Sakralen und Profanen und dem Natürlichen und Übernatürlichen (Turner, 1985). In ihren Taten überschreiten sie oft soziale und kulturelle Grenzen, was schon an der außergewöhnlichen Kostümierung sichtbar wird (William J. Hynes, 1997). Ihre Rituale bzw. Performances – die in Form von Tänzen, Gesang und andere Kunstformen stattfinden - sind häufig übertrieben, wiederholend und letzten Endes sinnführend (Miller Blerkorn 2012).
Die heilende Kraft des Clowns
Auch im medizinischen Kontext trifft man die Figur des Clowns an. Medizinmänner haben bei Heilungszeremonien die Clownfigur häufig genutzt. Wie der Anthropologe Dennis Tedlock in seiner Forschung herausfand, war für die Schamanen der Apachen in Nordamerika die Clownfigur manchmal der letzte Ausweg, wenn die bisherigen Tänze das erwünschte Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft oder die Heilung nicht erreicht hatten. Ein Schamane erzählte ihm: „Wenn ich andere Tänze mache und die Dinge dadurch nicht zurechtrücken kann, dann mache ich den Clown und der versagt niemals.“ (Tedlock, 1978).
Inwieweit kann dementsprechend auch ein Clown heilende Kräfte haben?
Die Sozial- und Kulturanthropologin Linda Miller Blerkorn hat die Klinikclowns (Clown Care Unit) in New York bei ihrer Arbeit begleitet und fand heraus, dass die Praktiken der Krankenhausclowns Ähnlichkeiten zu denen der Heiler aus sogenannte traditioneller Medizin haben.
Wie in westlichen Ländern bevorzugt Krankenhäuser und Ärzte besucht werden, um Krankheiten zu bekämpfen, wenden sich indigene Völker meist an Medizinmänner und Schamanen. Diese gelten als Vermittler zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen, die ihre Heilkräfte von übernatürlichen Wesen erhalten (Jakobson, 1999). In der Biomedizin wird eine Krankheit als Störung von biologischen und biochemischen Prozessen betrachtet, und die soziale Erfahrung und Wahrnehmung bleibt im Hintergrund (Kleinman, 1980).
Der Klinikclown, genauso wie der Schamane, versucht, diese psychosoziale Lücke zu füllen. Er betrachtet den Menschen als Ganzen, eingebunden in sein soziales Umfeld, und hilft dem Patienten und den Angehörigen die Krankheit anders zu erfahren. Mittels eines Rituals - im Fall des Klinikclowns einer Performance, die Menschen zum Lachen bringt - versucht er, ihnen die Angst zu nehmen und die schwere Situation für alle Beteiligten zu entlasten. Das Ziel ist, den kranken Menschen emotional zu stärken. Sowohl der Clown als auch der Schamane gewährleistet somit eine psychosoziale Hilfe, die von Ärztinnen und Ärzten häufig nicht erfüllt werden kann. In dem Moment ist er für diejenigen als emotionale Stütze da, die mit der eigenen Krankheit oder mit der Krankheit einer ihm oder ihr nahe stehenden Person alleine nicht umgehen können (Miller Blerkorn, 2012).
- Hynes, William J. und William G. Doty, Hg. (1997): Mythical Trickster Figures: Contours, Contexts and Criticisms. University of Alabama Press, Alabama.
- Jakobsen, Merete Demant (1999): Shamanism: Traditional and Contemporary Approaches to the Mastery of Spirits and Healing. Berghahn, New York.
- Jung, Carl Gustav (1934/2001): Archetypen. Dt. Taschenbuch-Verlag, München.
- Kleinman, Arthur (1980): Patients and Healers in the Context of Culture. An Exploration of the Borderland between Anthropology, Medicine, and Psychiatry, Berkeley.
- Miller Van Blerkorn (2012): Clown Doctors: Shaman Healers of Western Medicine. Medical Anthropology Quarterly, 9, 462-475.
- Radin, Paul (1972): The Trickster, A Study in American Indian Mythology (Der Trickster, Eine Studie indianischer Mythologie), Schocken Books, New York.
- Shah, Idres (1984): Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin. Herder Spektrum, Freiburg.
- Tedlock, Dennis (1978): Über den Rand des tiefen Canyons. Diederichs Gelbe Reihe, Bd.17, 1.
- Turner, Victor (1985): On the Edge of the Bush. University of Arizona Press, Tuscon.
- Von Barloewen, Constantin (1984): Clown – zur Phänomenologie des Stolperns. Athenäum, Frankfurt am Main.